Leben und Wissen 06. September 2017, 19:46 Uhr
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„Das ist mir ein Dorn im Auge“ oder „Er war blind vor Wund“: Redewendungen wie diese sprechen dafür, dass es eine Verbindung zwischen Auge, Sehvermögen und Psyche gibt. Tatsächlich gibt es solche Zusammenhänge. Wie sich psychische Belastungen auf manche Augenerkrankungen auswirken, lässt sich zwar schwer ermitteln. Fest steht immerhin, dass es Sehprobleme gibt, die sich organisch nicht ausreichend erklären lassen. Das spektakulärste Beispiel dafür ist die „psychogene Blindheit“: Als Folge verdrängter seelischer Konflikte können Patienten nur unscharf oder gar nicht mehr sehen, obwohl die Augen gesund sind.
„Wir haben hier pro Jahr mehrere Fälle dieser Art“, sagt Horst Helbig, Vize-Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), die sich der Augenheilkunde widmet. „Meistens handelt es sich um Mädchen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren“, so Helbig. Sie würden an einen Kinderpsychologen überwiesen. „Wichtig ist aber, dass zuvor alles andere ausgeschlossen wurde und die Kinder nicht als Simulanten behandelt werden.“
„Das Auge funktioniert, aber das Gehirn lässt die Bilder nicht zu“, erklärt Gabriele Emmerich, Sprecherin des Ressorts Psychosomatik in der Augenheilkunde im Berufsverband der Augenärzte Deutschlands, die psychogene Blindheit. Psychologen gehen davon aus, dass dem Phänomen unbewältigte Konflikte oder Traumata, etwa Kriegserlebnisse, zugrunde liegen. Folge: Patienten blenden Sehinformationen unbewusst aus, weil sie die schlimmen Erlebnisse – im übertragenen Sinn – nicht sehen wollen. Streng wissenschaftlich erforscht sei das Phänomen allerdings nicht.
Dass derart starke Sehprobleme eine rein psychische Ursache haben, ist allerdings selten. Viel häufiger sind Emmerich zufolge Fälle, in denen die subjektiven Beschwerden der Patienten und das, was organisch feststellbar ist, nicht zusammenpassen. „Ich habe oft Patienten, die ihre Symptome sehr viel stärker schildern, als der organische Befund vermuten lassen sollte“, sagt die Ärztin. So leiden sie stark unter Brennen und Schmerzen in Folge trockener Augen. Oder sie nehmen „fliegende Mücken“ – das sind harmlose Trübungen im Glaskörper des Augapfels – unerträglich deutlich wahr. „In solchen Fällen gilt es herauszufinden: Was ist denn so störend? Warum bewertet der Patient die Symptome derart stark?“, sagt Emmerich. Tatsächlich kann es sein, dass psychische Belastungen, etwa andauernder Stress oder Mobbing am Arbeitsplatz, das Hauptproblem sind.
Auch die Sehschärfe kann durch Stress leiden: Infolge starker Anspannung verkrampfen sich die Ziliarmuskeln, an denen die Linsen angehängt sind, sodass das Auge auf die Nähe eingestellt bleibt. Man spricht von einer Pseudo-Kurzsichtigkeit, die oft mit Kopfschmerzen einhergeht. Daneben gibt es handfeste Augenkrankheiten, bei deren Entstehung und Verlauf die Psyche offenbar eine Rolle spielt. Hintergrund sind meist komplizierte Zusammenhänge, wie Emmerich erklärt: So könnten etwa ungelöste Konflikte Veränderungen des vegetativen Nervensystems sowie der Hormone bewirken und dadurch die Entstehung einer Krankheit fördern oder ihre Dauer verlängern. Beispiel dafür ist die rätselhafte Augenkrankheit Retinopathia centralis serosa (RCS), bei der sich Flüssigkeit unter der zentralen Netzhaut ansammelt . Auffällig oft trifft die Krankheit beruflich stark eingespannte Männer zwischen 30 und 50 Jahren, weshalb sie auch „Managerkrankheit des Auges“ heißt.
Wie RCS entsteht, ist unklar. Forscher vermuten einen Zusammenhang mit der Persönlichkeit der Patienten: Diese zeigen nämlich häufig ein „Typ-A-Verhalten“ – das heißt, sie legen in Konkurrenzsituationen eine erhöhte Leistungsbereitschaft an den Tag. Dadurch wird das vegetative Nervensystem stimuliert, was zu einer erhöhten Ausschüttung des Stresshormons Kortisol führt. Dieser Effekt könnte ein Auslöser für die Krankheit sein.
Daneben gehen ganzheitlich orientierte Augenärzte davon aus, dass auch bei entzündlichen Augenerkrankungen die Psyche mitspielt. Sie erklären das mit Wechselwirkungen zwischen Psyche und Immunsystem. So kann psychische Belastung das Immunsystem einerseits hemmen und zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen. Stress kann aber auch eine Aktivierung des Immunsystems bewirken. Daraus resultiert die Hypothese, dass Stress das Entstehen der Autoimmunerkrankung Uveitis fördern kann. Darunter werden Entzündungen des Augeninneren zusammengefasst, die mit Augenrötung, Tränenfluss, Lichtempfindlichkeit, Sehproblemen und Augenschmerzen einhergehen. Als Auslöser kommen viele Faktoren infrage, etwa eine Infektion mit Bakterien, Viren oder Pilzen – sie kann aber auch als Begleitung von Gelenkerkrankungen wie Morbus Bechterew auftreten. Meistens lässt sich die Ursache nicht klar ermitteln.
Eine andere Krankheit, bei der schon lange über den Einfluss der Psyche spekuliert wird, ist das Glaukom (besser bekannt als grüner Star), in dessen Verlauf der Sehnerv abstirbt. Psychische Belastung und Stress können den Augeninnendruck verändern, der als Risikofaktor für die Entstehung eines Glaukoms gilt. Umgekehrt haben Studien ergeben: „Autogenes Training und Ausdauersport wirken sich günstig auf den Augeninnendruck aus“, sagt Helbig. Er warnt aber vor weiterreichenden Schlüssen. So sind für die DOG Medikamente, die den Augendruck senken, Mittel der ersten Wahl, um die Krankheit aufzuhalten.
Augenärztin Gabriele Emmerich möchte keine allgemeingültigen Tipps geben, was den Zusammenhang von Augen und Psyche betrifft. Dazu sind die Fälle, mit denen sie es in der Praxis zu tun hat, zu unterschiedlich. Allenfalls könne man zu Entspannungsverfahren raten. „Autogenes Training oder Muskelentspannung nach dem US-Arzt Edmund Jacobson sind oft eine sinnvolle Ergänzung zur Behandlung stressbedingter körperlicher Erkrankungen“, sagt sie. Dadurch habe man mehr Energie – und die trägt auch zum besseren Durchblick bei.
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