Wir haben die Berliner Firma Lovehoney Group besucht, die weltberühmte Dildos und Vibratoren herstellt. Fleischfarben und adrig sieht aber keiner davon aus.
Morgens halb zehn in Deutschland. Ein Knoppers wäre jetzt nicht schlecht. Stattdessen gibt es Scheidentrockenheit. Bei der Lovehoney Group kommen eben gleich zum Frühstück die deftigsten Themen auf den Tisch.
Das international agierende Unternehmen vereint diverse Sex-Toy-Marken unter seinen Dächern, betreibt insgesamt zehn Büros in mehreren Ländern. Eine wichtige Zentrale mit 176 Mitarbeitenden sitzt in Berlin – nicht in einer Schmuddelecke am Stadtrand allerdings, sondern auf einem hübschen Areal in Prenzlauer Berg, mit alten Backsteinhallen und neuen Glaskomplexen. Und genau hierhin hat die Lovehoney Group an einem schwülen Sommermorgen zu einer Art Tag der offenen Tür geladen.
Etwa drei Dutzend Journalistinnen und Journalisten aus mehreren europäischen und asiatischen Ländern nehmen daran teil. Sie lassen sich durch Arbeitsräume und Werkstätten führen, lauschen Vorträgen, finden sich zu Workshop-Gruppen zusammen, um Ideen für neue Sexspielzeuge zu sammeln. Namen und Altersangaben ausgedachter Charaktere werden mit Edding-Stiften auf die Flipcharts geschrieben, sexuelle Neigungen und sexuelle Traumata, Wünsche, Ängste: Zielgruppenfindung im Schnelldurchlauf.
Die einen wollen Dildos mit einem erklärenden Sprachassistenten ausstatten, der die Masturbation für Unerfahrene pädagogisch begleitet; die nächsten möchten lieber Toys entwickeln, die passend zu den spannendsten Stellen eines Erotik-Hörspiels ordentlich vibrieren. Und für die fiktive Frau, die mit ihrer Scheidentrockenheit zu kämpfen hat, schlägt die zuständige Gruppe einen Vibrator vor, der von allein und wohldosiert ein Gleitmittel absondert. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – selbst auf nüchternen Magen fällt es hier nicht schwer, mit solch pikanten Ideen zu jonglieren.
„Wir bemühen uns immer um eine professionelle und angenehme Atmosphäre“, sagt Elisabeth Neumann später während eines Interviews im hellen, freundlichen Konferenzraum. „Jede und jeder hier glaubt an die Message unserer Firma, der es ums Wohlfühlen und um Empowerment geht.“ Neumann ist studierte Sexualwissenschaftlerin und arbeitet bei Lovehoney als User Research Managerin, verantwortet also die Bereiche der Kundenumfragen, Produkttests, Marktforschung.
Was das offene Gespräch über Sex und Selbstbefriedigung angeht, so seien sie und ihre Kolleginnen und Kollegen ja ohnehin routiniert, auch „ein bisschen abgestumpft“, sagt sie. Gelegentlich fielen in den Arbeitsräumen der Lovehoney Group geradezu groteske Sätze. „Kann mir nochmal jemand einen Normpenis zuwerfen?“, heiße es dann. Oder: „Deine Klitoris ist schon wieder im 3D-Drucker stecken geblieben.“
In den Berliner Werkstätten des Unternehmens werden nämlich Prototypen für neue Dildos und Vibratoren hergestellt und getestet, auch für sogenannte Stroker, die der männlichen Masturbation dienen. In einem Raum zum Beispiel tragen Dutzende 3D-Drucker Schicht für Schicht bunte Phalli auf; im nächsten liegen auf den Werkbänken Vibratoren-Rohlinge, aus denen noch die Kabel hängen. Ziemlich lustig geht’s in einem Räumchen zu, in dem die Spielzeuge ultimativen Härtetests zugeführt werden: Maschinen biegen Silikon-Dildos ohne Unterlass von links nach rechts, von hinten nach vorne, andere kratzen mit verschiedenen Materialien über die glatten Oberflächen der Toys.
Es gibt eine Bodenfläche, auf die Dildos wieder und wieder fallen gelassen werden; eine tonstudioartige kleine Kammer mit Mikrofon und Akustik-Noppenschaum an den Wänden, um das Brummen neuer Vibratoren auf seine Lautstärke hin zu überprüfen. „Am Ende muss ein Dildo 10.000 Drehungen unbeschadet überstehen“, sagt Maschinenbauingenieur Dan Shor, während er vor einem Gerät steht, das gerade einen Silikon-Phallus durchschüttelt. „Wenn unsere Toys von hier aus verschickt werden, müssen sie schön stabil sein“, so Shor. „Würde zum Beispiel ein Butt-Plug beim Gebrauch einfach abbrechen, wäre das ziemlich blöd für unsere Tester“ – man kann es sich redlich vorstellen.
Rund 17.000 Menschen aus 90 Ländern haben sich über eine Webseite der Lovehoney Group registriert, weil sie gern neue Sexspielzeuge ausprobieren wollen. „Das sind wirklich ganz, ganz verschiedene Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen und Vorlieben“, sagt Elisabeth Neumann, die den Pool aus Testerinnen und Testern betreut. Bevor die Toys tatsächlich in den Verkauf gehen, werden sie an die Versuchskaninchen verschickt, die dann nach ihren Erfahrungen befragt werden – Verbesserungsvorschläge überaus willkommen.
Auffällig ist, dass die Neugierigen keine realistischen Dildos zum Test geliefert bekommen: Es sind eben keine fleischfarbenen, adrigen Silikon-Penisse, die bei Lovehoney aus den 3D-Druckern kommen; in den Berliner Werkstätten des Unternehmens liegt nichts herum, was nach 90er-Jahre-Porno aussieht. Zwar gehörten zur Unternehmensgruppe auch einige wenige britische Labels, die entsprechende Teile im Sortiment haben, so Elisabeth Neumann. Bei den Premium-Marken der Lovehoney Group, zum Beispiel Arcwave, Desire oder Womanizer, gibt es solche Produkte allerdings nicht. Was hier verkauft wird, sieht eher nach modernem Designobjekt denn schlüpfrigem Spielzeug aus.
Ohnehin habe sich in der Branche gestalterisch einiges getan, meint Yaniv Barinberg, der zum Team des alternativen Sexshops Other Nature in Kreuzberg gehört. „Vor zehn Jahren gab es Sex Toys allenfalls in drei Farben: Pink, Blau, vielleicht noch was Türkisfarbenes zwischendrin.“ Dass Dildos und Vibratoren, Stroker, Beads und Butt-Plugs heute in einer größeren Farb- und Formenvielfalt daherkommen, spiegele also nicht nur ein gesteigertes Bedürfnis nach Individualität, auch im Schlafzimmer. Es entspreche zudem einer Gesellschaft, die Geschlechternormen zunehmend infrage stellt, auch im Schlafzimmer.
In jedem Fall seien es eben nicht nur Funktionalität und Praktikabilität, die Kaufentscheidungen seiner Kundinnen und Kunden beeinflussen, so Barinberg. „Wenn dir etwas auch optisch Lust bereitet oder Freude, macht es dich noch neugieriger, es ausprobieren.“ Aktuell finde er selbst im eigenen Sortiment zum Beispiel die Produkte der New Yorker Firma Le Wand besonders interessant: Massagegeräte in leichten Puder- oder intensiven Blautönen, die hochglänzende Metallpartien elegant mit matten Silikonteilen verbinden.
„Toll finde ich auch die Sachen von Cute Little Fuckers, einer Firma, die von queeren und Trans-Menschen gegründet wurde“, sagt Yaniv Barinberg. Das US-Label ist vor allem für seine Auflegevibratoren bekannt, also für solche, die nicht zwingend eingeführt, sondern äußerlich benutzt werden. Die Cute Little Fuckers kommen in knalligen Farben daher, sehen aus wie Insekten oder Meerestiere, stilisierte Marienkäfer oder Tintenfische – eine ordentliche Portion Humor also, die beim Sex bekanntlich nie schadet.
Ohnehin hätten Sex Toys eine Art Vermittlungsfunktion, meint Barinberg. „Sie sind wie ein Zwischenmedium, das es vereinfachen kann, über die eigenen Fantasien und Bedürfnisse zu sprechen.“ Ähnlich drückt es auch Sexualwissenschaftlerin Elisabeth Neumann von der Lovehoney Group aus: Gerade gut gestaltete Spielzeuge, die nichts Peinliches, nichts Primitives haben, erleichterten die Kommunikation über Sex und Selbstbefriedigung. „Es ist eben einfacher, erstmal über bestimmte Toys oder Produkte zu sprechen, als direkt über sich selbst und das eigene Masturbationsverhalten“, so Neumann. Und dass es im Bereich der offenen Kommunikation und Aufklärung noch einiges zu tun gäbe, zeigt nicht zuletzt eine vor wenigen Wochen veröffentlichte Studie, die von der Lovehoney Group in Auftrag gegeben wurde.
22.315 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 15 Ländern wurden hierbei nach ihrem Masturbationsverhalten befragt. Während es die Männer in Deutschland demnach durchschnittlich 164-mal im Jahr tun, befriedigten sich Frauen lediglich 82-mal selbst – 21 Prozent der Frauen gaben sogar an, überhaupt nie zu masturbieren.
Dabei hat die Selbstbefriedigung zahlreiche Vorteile, wie Medizinerinnen und Wissenschaftler immer wieder betonen: Sie baut Stress ab und hebt die Stimmung, vermindert Regelschmerzen und wirkt Prostataerkrankungen vor, vermindert Blasenentzündungen und Inkontinenz, sie verbessert den Schlaf, wirkt entkrampfend, kann auch das Sexleben mit anderen verbessern. Und Frauen, die einen Orgasmus erreichen möchten, aber aus verschiedenen Gründen nicht können, bringt die Masturbation ihrem schönen Ziel unter Umständen ein gutes Stückchen näher.
Laut des Berufsverbandes der Frauenärzte hat jede vierte Frau Orgasmushemmungen; rund fünf Prozent der Frauen in Deutschland können den Höhepunkt gar nicht erreichen. Glaubt man zahllosen Onlinerezensionen, schwärmerischen Foreneinträgen, einem regelrechten Hype – oder einfach nur den Erzählungen von Freundinnen und Schwestern – so gibt es jedoch eine Art Wunderwaffe gegen den ausbleibenden Höhepunkt: den Womanizer der gleichnamigen Sex-Toy-Marke, die wiederum zur Lovehoney Group gehört.
Entwickelt wurde das Spielzeug von Michael Lenke, einem Erfinder aus Niederbayern. Den Prototypen des legendären Vibrators bastelte er noch aus einer Aquariumpumpe – heute gilt die patentierte „Pleasure Air Technologie“ des Womanizers als eine Revolution des Sex-Toy-Markts. Statt auf einen einfachen Vibrationsmechanismus setzt der Womanizer auf Luftschwingungen. Er ist mit einem kleinen Luftfenster ausgestattet, das sich so schnell wie der Flügelschlag eines Kolibris immer wieder öffnet und schließt.
„In der Klitoris gibt es wahnsinnig viele Rezeptoren, die aufgebaut sind wie eine Zwiebel und im Querschnitt viele Lamellen aufweisen“, erklärt Elisabeth Neumann. „Diese Lamellen werden durch den Womanizer richtig zusammengeschoben und wieder aufgemacht, sie reagieren besonders stark auf Schwingungen.“ Bei Kundinnenbefragungen habe sie schon die unterschiedlichsten Beschreibungen gehört. „Das ist wie ein Flugzeug, wenn es einmal gestartet ist, kannst du es nicht mehr aufhalten“, meinte eine. Eine andere beschrieb ein bisschen zärtlicher: „Fühlt sich an wie Schmetterlingsküsse auf der Klitoris.“
Viele Frauen berichten erfreut davon, mit dem Womanizer binnen Sekunden zum Höhepunkt zu kommen – anderen ist das zu schnell und zu mechanisch, mit dem Womanizer bleibe nicht genügend Zeit, die Masturbation wirklich genießen zu können. Viele Frauen berichten erfreut davon, mit dem Womanizer binnen Sekunden zum Höhepunkt kommen zu können – anderen ist das zu schnell und zu mechanisch, mit dem Womanizer bleibe ihnen nicht genügend Zeit, die Masturbation wirklich zu genießen.
So oder so gilt der Womanizer längst als einer der erfolgreichsten Vibratoren aller Zeiten, eine echte Sex-Toy-Legende: Bis dato ging er weltweit rund vier Millionen Mal über die Sexshop-Ladentheke, zu kaufen gibt’s ihn in über 60 Ländern. Auf Instagram finden sich Fotos von Frauen, die sich die Silhouette ihres Lieblingsspielzeugs haben tätowieren lassen; veröffentlicht werden auch Memes, die „die perfekte Kleinfamilie“ zeigen – bestehend aus Mutter, Womanizer, Kind. Selbst prominente Frauen wie Influencerin Bonnie Strange oder die britische Sängerin Lily Allen werben für das Spielzeug.
Zurück beim Tag der offenen Tür berichtet Bonny Hall in einem Vortrag davon, dass Popkultur und Medien ohnehin einen starken Einfluss auf die Gestaltung von Sex Toys haben. „Die Produkte, die vor Jahren in ,Sex and the City‘ vorkamen oder solche, die zumindest so aussehen, werden noch heute gut verkauft“, sagt die Global Product Managerin der Lovehoney Group – ob Mirandas rosafarbener Bunny-Vibrator mit Hasenohren oder Samanthas großformatiges „Nackenmassagegerät“.
Als 2015 wiederum die Erotik-Schmonzette „50 Shades of Grey“ in die Kinos kam, habe die Unternehmensgruppe der Nachfrage entsprechend ihr Angebot an BDSM-Produkten ausgebaut – aktuell sorgen Netflix-Produktionen wie „Sex Education“ oder „How to Build a Sex Room“ für ein gesteigertes Interesse am Thema. Umgekehrt lassen sich auch Toys über einen Bezug zur Popkultur hervorragend verkaufen. In Kooperation mit Lily Allen ist zum Beispiel auch eine eigene Womanizer-Version in Orange und Pink entstanden; vor wenigen Tagen wurde außerdem eine „Marilyn Monroe Edition“ vorgestellt.
Verschiedene Ausführungen des Womanizers gibt es auch bei Other Nature, dem alternativen Sexladen in Kreuzberg. „Es kommen nach wie vor Menschen rein, die gezielt danach fragen“, sagt Yaniv Barinberg, „aber ich würde sagen, der ganz große Hype ist vorbei.“ Mittlerweile gebe es schließlich auch andere Vibratoren, die auf eine ähnliche saugende Technologie setzten: die Kissable Toys der kalifornischen Firma Shots zum Beispiel, die sich durch eine schöne bauchige Form und einen feinen goldenen Streifen auszeichnen, oder die sachlich-modern gestalteten Spielzeuge des Labels Lora DiCarlo, an dem auch Topmodel Cara Delevingne beteiligt ist.
Und dann finden sich im Angebot von Other Nature tatsächlich auch Dildos, die wie echte Penisse aussehen – fleischfarben, mit Adern und allem Zipp und Zapp. „So etwas zu benutzen, war in manchen Kreisen zwischenzeitlich total verpönt", sagt Yaniv Barinberg. „Auch, weil sich bestimmte feministische Strömungen so stark von Cis-Männlichkeit und Cis-Männern abgrenzen wollten." Mittlerweile habe sich das aber in vielen feministischen, gerade auch in queeren Kontexten verändert. „Ein realistisch aussehender Dildo kann für Menschen so vieles repräsentieren und hat unter Umständen verschiedene Funktionen und Bedeutungen.“ Beispielsweise könne er Menschen mit erektiler Dysfunktion wieder Lust auf Sex bereiten, Trans-Menschen in ihrer Geschlechtsidentität unterstützen.
Auch bei der Lovehoney Group will man den Klassiker nicht per se ablehnen. „Dass es heute so viele Alternativen gibt, die eben nicht suggerieren, dass mit der Masturbation bloß der heterosexuelle, penetrative Sex nachgeahmt wird, finde ich schon toll“, sagt Elisabeth Neumann. „Aber ich möchte auch niemanden shamen, der oder die auf fleischfarbene Dildos steht.“ Erlaubt ist eben immer noch, was gefällt.