Nach Fachärzte-Marathon: Rheuma war der wahre Grund für Schmerzen | STERN.de

2022-09-16 17:58:15 By : Mr. Max Liu

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Ein Tag im August des vergangenen Jahres: Ich stieg die Treppen zu meiner Wohnung im dritten Stock hinauf, als unvermittelt ein stechender Schmerz in mein rechtes Knie schoss. In den Tagen danach konnte ich kaum laufen und war sicher, mir durch irgendeine blöde Bewegung eine Verletzung zugezogen zu haben. Dass es eine Verbindung zu anderen Wehwehchen geben könnte, die mich plagten - darunter trockene Augen - hätte ich nicht erwartet. Also ging ich zum Orthopäden. Der tastete das lädierte Gelenk kurz ab und überwies mich zur Kernspintomographie an die Kollegen in der Radiologie.

Dieser Text erschien erstmals am 27. September 2017 und gedruckt in stern GESUND LEBEN 5/2017.

Der Ausflug in die Röhre zeigte: Ich hatte keine akute Verletzung, sondern etwas namens Plica-Syndrom. Die Plica - so wurde mir erklärt - ist eine Schleimhautfalte, die sich nach meiner Kindheit eigentlich hätte auflösen sollen. Bei mir war sie noch da. Und nun machte sie Ärger, weil sie am Knorpel im Kniegelenk rieb - und diesen dabei beschädigte. Der Orthopäde verschrieb mir Ibuprofen gegen die Schmerzen und Krankengymnastik. Danach wollten wir weitersehen. Ich war zwar froh, dass er nicht direkt operieren wollte, der Befund ließ mich aber auch geknickt zurück. Mit 37 Jahren zeigte mein Körper erstmals Verschleißerscheinungen. In der Regel ging ich zweimal in der Woche joggen. Damit war es erst einmal vorbei. Frustrierend.

Die Physiotherapie zeigte zunächst Wirkung und meine Knieschmerzen besserten sich langsam. Dafür taten mir im Laufe der Wochen plötzlich andere Stellen weh. Zum Beispiel mein rechtes Kreuzdarmbeingelenk, die Verbindung zwischen Becken und Wirbelsäule. Ebenso schmerzte die rechte Ferse, einige Zehen und die Achillessehne. Morgens nach dem Aufwachen brauchte ich wegen der Schmerzen oft einige Zeit, um überhaupt aufstehen zu können. An richtig schlechten Tagen hatte ich oben an der Treppe echte Angst vor dem Abstieg und auf dem Weg zur U-Bahn humpelte ich im Schneckentempo voran. Ob ich mir im Büro noch einen Kaffee holte, überlegte ich mir zweimal. Ein Teufelskreis, der häufig nur mit mehreren Ibuprofen am Tag zu durchbrechen war - was wiederum den Effekt hatte, dass mir die Tabletten irgendwann auf den Magen schlugen.

Mein Orthopäde schob die Gelenkschmerzen auf Ausweichbewegungen, die ich wochenlang wegen meiner Knieschmerzen gemacht hätte: "Dadurch waren Sie ja so krumm und schief unterwegs, da kann sowas schon vorkommen", erklärt er mir. Außerdem diagnostizierte er noch Knick-Senk-Spreiz-Füße, auch als Plattfüße bekannt, und verschrieb mir Einlagen. Mein Kreuzdarmbeingelenk sollte ich durch eine weitere Serie mit sieben Sitzungen Krankengymnastik mit Lockerungsübungen mobilisieren, dann würde es schon werden.

Wurde es aber nicht. Ich beschloss, noch eine zweite Meinung einzuholen. Orthopäde Nummer zwei brauchte nur ein paar Minuten für Untersuchung und Diagnose. Was die Ausweichbewegungen anging, teilte er die Meinung des Kollegen. Eine kurze Untersuchung meines Fußes verriet ihm einen weiteren Grund für meine Schmerzen. "Ganz klar, ein Fersensporn", teilte er mir mit, "das ist ein knöcherner Auswuchs unter dem Fuß. Sehr schmerzhaft." Er schrieb mir ein neues Rezept für höher dosierte Ibuprofen und eines, mit dem ich meine Einlagen anpassen lassen sollte. Dann würde es schon werden.

Wurde es aber nicht. An diesem Punkt beschloss ich, grundlegend etwas zu ändern. Mittlerweile war Weihnachten vorbei und ich hatte immer noch Schmerzen. Ich glaubte nicht mehr daran, dass Plattfüße oder Ausweichbewegungen daran schuld waren. Immerhin lief ich seit Wochen mit Einlagen rum, hatte mittlerweile bereits drei Serien Physiotherapie gemacht und überlegte mir gefühlt jede Bewegung genauestens im Voraus. Und es wurde trotzdem eher schlimmer als besser. Ich schluckte mittlerweile nicht nur Schmerztabletten, sondern auch Magensäureblocker gegen die Nebenwirkungen. Allein das ging mir gegen den Strich. Normalerweise verzichte ich aus Prinzip darauf, gegen jedes Wehwehchen gleich Medikamente einzuwerfen. Die Folge: So langsam aber sicher schlugen mir die Beschwerden auch aufs Gemüt.

Aus meiner Familie kam schließlich der Ratschlag, einen Rheumatologen aufzusuchen. Da ich mittlerweile nach jedem Strohhalm griff, suchte ich mir die Nummer einer Praxis heraus und rief an. Viel Hoffnung auf schnelle Hilfe machte ich mir nicht. Als gesetzlich Versicherter hatte ich bei Terminwünschen bislang in der Regel viel Geduld aufbringen müssen. Diesmal wurde ich positiv überrascht: Bereits in zwei Wochen sollte ich mich vorstellen.

Die zweite positive Überraschung folgte im Termin. Nie zuvor hatte sich ein Arzt so ausführlich mit meinem Befinden und meiner Krankheitsgeschichte auseinander gesetzt. Allein die Anamnese beim ersten Termin dauerte eine Stunde und sorgte für einige Aha-Momente:

Für sich genommen sind diese Anzeichen nicht unbedingt alarmierend. In der Summe können sie auf Psoriasisarthritis hinweisen. Das ist eine chronische entzündliche Gelenkerkrankung, die inoffiziell manchmal auch "Schuppenflechtenrheuma" genannt wird. Bislang war jedoch noch keiner der von mir aufgesuchten Mediziner auf diese Idee gekommen. Ich selbst hätte ohnehin als Letzter vermutet, dass meine trockenen Augen und meine Knieschmerzen etwas miteinander zu tun haben könnten.

Mein Rheumatologe kombinierte nun all diese Indizien - für mich als staunenden Laien eine geradezu detektivische Leistung - und äußerte den Verdacht auf eine Psoriasisarthritis. Ein zweites MRT der betroffenen Gelenke und eine Untersuchung der Entzündungsparameter im Blut stützten diese Annahme. Das MRT zeigte übrigens deutlich, dass ich keinen Fersensporn hatte. Aber das nur nebenbei.

Nun war eine chronische Gelenkentzündung sicher keine Diagnose, die mich vor Freude in die Luft springen ließ. Zumal ich mit dem Gedanken, Rheuma zu haben, immer noch etwas fremdelte. Bislang dachte ich immer, das wäre eine typische Alte-Leute-Krankheit. Weit gefehlt: Psoriasisarthritis beginnt nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga zumeist im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Zwischen ersten Anzeichen auf der Haut und damit verbundenen Gelenkproblemen kann jedoch einige Zeit ins Land gehen. Für mich bedeutete die Diagnose nach peinvollen Monaten voller Stochern im Nebel vor allem eines: einen Riesenschritt nach vorn.

Denn als der Gegner bekannt war, konnte er auch bekämpft werden. Das Tückische bei Psoriasisarthritis ist, dass die Medizin sie weder heilen kann, noch die Ursachen dieser Autoimmunerkrankung kennt. Vereinfacht gesagt: Der Körper greift sich selbst an und die Wissenschaft weiß (noch) nicht genau warum. Aber es gibt Möglichkeiten, ein Fortschreiten der Krankheit stark zu verlangsamen oder sogar zu stoppen.

In diversen Foren-Beiträgen, Artikeln und Büchern stieß ich immer wieder darauf, dass richtige Ernährung ein wichtiger Faktor bei Rheuma sein kann. Also las ich mich schlau und stellte meinen Speiseplan um: Fleisch, das entzündungsfördernde Arachidonsäure enthält, verbannte ich immer häufiger vom Teller. Fetten Seefisch, der Omega-3-Fettsäuren enthält, gab es dafür jetzt öfter. Da ich gelesen hatte, dass das körpereigene Bauchfett ebenfalls entzündungsfördernde Hormone produziert, verzichtete ich wo es möglich war auf Zucker - und aß dafür mehr Gemüse als zuvor. Netter Nebeneffekt: Ich verlor ein paar Pfunde und meine Knie zeigten sich dankbar dafür, nun weniger Gewicht durch die Gegend schleppen zu müssen.

Mein Rheumatologe fasste derweil eine Biologika-Behandlung ins Auge. Biologika sind Medikamente, die aus lebenden Zellkulturen hergestellt werden und menschlichen Eiweißen nachempfunden sind. Das Medikament der Wahl war in meinem Fall ein sogenannter TNF-alpha-Blocker. TNF-alpha ist ein Botenstoff des Immunsystems, der wesentlich an chronischen Gelenkentzündungen beteiligt ist. Der Blocker soll ihn hemmen und so Schmerzen und ein Fortschreiten der entzündlichen Erkrankung verhindern. Biologika gehören zu den vielversprechendsten Medikamenten im Kampf gegen Rheuma. Allerdings schlagen sie nicht bei jedem gleich gut an und haben auch sonst ein paar Haken.

Da das Immunsystem auf diese Weise quasi teilweise heruntergefahren und neugestartet wird, ist man während der Behandlungszeit möglicherweise anfälliger für Infektionskrankheiten. Außerdem können schwere Nebenwirkungen auftreten. Ich war jedoch an einem Punkt, an dem ich jede Aussicht auf Linderung dankend annahm. Ein paar letzte Checks noch, dann war ich startklar.

Biologika haben noch ein weiteres Manko: Weil der Entwicklungs- und Fertigungsprozess aufwändig ist, sind sie sehr teuer. Eine einzelne Spritze meines Medikaments kostet rund 770 Euro. Und siehe da: Nach dem vorangegangenen Termin-Ärger bei den Fachärzten war ich nun froh, gesetzlich versichert zu sein. Ich musste in der Apotheke nämlich lediglich die Rezeptgebühr von zehn Euro zahlen. Als Privatpatient hätte ich in Vorleistung gehen und mir das Geld von meiner Versicherung zurückholen müssen - in der Hoffnung, dass diese die Kosten auch übernimmt und nicht auf eine kostengünstigere Therapie pocht. Für den verschriebenen Sechserpack hätte ich also mehr als 4600 Euro vorschießen müssen.

Abends saß ich dann zu Hause und starrte auf die Spritze in meiner Hand. Es kostete einige Überwindung, aber schließlich stach ich die Nadel in meinen Bauch. Alle 14 Tage musste ich diese Prozedur nun wiederholen. Laut Produktinformation sollte das Mittel nach einigen Wochen wirken, möglicherweise aber auch schon früher. Oder aber - wenn ich Pech hätte - gar nicht. Tatsächlich fühlte ich mich schon nach einigen Tagen spürbar besser. Ob es das Medikament war oder nur ein Placebo-Effekt wusste ich natürlich nicht. Es war mir aber auch egal. Ich genoss meine zurückgewonnene Bewegungsfreiheit.

Nach etlichen Wochen Biologika und Ernährungsumstellung fällt das Zwischenfazit erfreulich aus: Ich bin tatsächlich nahezu beschwerdefrei. Auch von Nebenwirkungen blieb ich bislang verschont. Ein Happy End hat diese Geschichte leider noch nicht. Die Krankheit scheint gestoppt zu sein, aber sie kann auch wieder fortschreiten. Es kann beispielsweise sein, dass mein Körper irgendwann Antikörper gegen den TNF-alpha-Blocker bildet und die Schmerzen zurückkehren.

Im Moment sieht aber alles gut aus. Ich treibe sogar wieder Sport, der meine Fuß- und Kniegelenke nicht zu sehr belastet. Statt zu Joggen sitze ich nun eher auf dem Rad, im Kajak oder fahre Skateboard. Und auch den Abstieg aus dem dritten Stock kann ich wieder ohne Angst in Angriff nehmen.

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