EMS-Training im Fitnessstudio: Stromstöße zum Aufbau von Muskulatur sollten nur unter kompetenter Beratung zum Einsatz kommen
Ein Fitnesstraining, das große Effekte bei geringem Aufwand verspricht - das weckte sofort ihr Interesse. Manuela D. entschloss sich, das Elektromyostimulationstraining (EMS) auszuprobieren.
Im Studio wurde kurz abgefragt, ob sie an schweren Krankheiten leide oder bestimmte Medikamente einnehmen würde. Auf Manuela D. traf das nicht zu. "Ich bin eigentlich recht fit", sagt die 48-Jährige. Im EMS-Studio musste sie angefeuchtete Kleidung überziehen, dann wurden Elektroden auf Armen, Brust, Rücken und Bauch platziert.
Beim EMS-Training jagt ein Gerät Strom durch den Körper, sodass sich die Muskulatur zusammenzieht. Trainierende müssen dagegen halten und gleichzeitig Übungen absolvieren, so sollen Muskeln aufgebaut werden. Manuela D. war überrascht, wie sehr sie das Training anstrengte. Nach den ersten beiden Malen wurde ihr flau und ihr Kopf schmerzte, sie hielt es zunächst für Wetterfühligkeit.
Nach dem dritten Training hatte sie so starke Kreislaufprobleme, dass sie sich untersuchen ließ. Die Diagnose: Ihr Körper war komplett überanstrengt worden, bis hin zur Zerstörung der Muskulatur. Ein Indikator dafür im Blut, der sogenannte CK-Wert, lag bei über 15.000 U/l. CK-Werte zwischen 100 und 200 U/l sind bei Gesunden normal. Nach dem Sport können sie ansteigen, doch selbst nach einem Marathonlauf wird nur selten ein derartig hoher Wert erreicht.
Einen Wert von mehr als 10.000 U/l beschreibt die Fachliteratur zudem als kritische Grenze: Ab diesem Punkt kann die Niere Probleme bekommen, die Abbauprodukte der Muskeln auszuscheiden. Es droht ein Organversagen. In der ersten Zeit nach dem EMS-Training ermüdete Manuela D. bei jeder Form von Anstrengung sofort und konnte ihrem Beruf nicht nachgehen. Noch Wochen später ging es ihr schlecht.
Herzrasen und Schmerzen in der Brust
In Berlin musste im vergangenen Jahr eine zuvor gesunde Sportlerin ins Krankenhaus, nachdem sie ein EMS-Training absolviert hatte, so berichtet es ihr damaliger Anwalt. Während des Trainings hatte eine Studio-Mitarbeiterin den Strom so stark hochgedreht, dass die Frau über Schmerzen klagte. Die Trainerin habe ihr aber zum Durchhalten geraten, nur so stelle sich der gewünschte Effekt ein.
Einen Tag später litt die Frau an Herzrasen, Schmerzen in Brust, Kopf und Muskeln. Tagelang war sie nicht in der Lage aufzustehen, ihr Kreislauf musste stabilisiert werden. Im Krankenhaus stellten die Ärzte auch bei ihr eine Zerstörung der Skelettmuskulatur fest, eine sogenannte Rhabdomyolyse, ihr CK-Wert lag bei 26.000 U/l. Sie gaben ihr Infusionen, um die Abbauprodukte der Muskeln aus ihrem Körper zu spülen und die Nierenfunktion aufrecht zu halten. Auch weitere Kunden berichten von Übelkeit, Kopfweh und Kreislaufproblemen nach dem EMS-Training, oder sogar von tagelanger Bettlägerigkeit.
Bei Fragen nach der Sicherheit des EMS-Trainings verweist einer der größten Studiobetreiber, Bodystreet, darauf, die Methode habe sich "in der Medizin und der Physiotherapie etabliert." Tatsächlich werden EMS-Geräte auch in der Physiotherapie eingesetzt, um nach Verletzungen Muskeln gezielt wieder aufzubauen. Doch dabei werden in der Regel nur einzelne Muskelpartien mithilfe von Strom trainiert, und das unter genauer Kontrolle.
Auch Profisportler trainieren teilweise mit der Methode. Allerdings haben diese in der Regel ein gutes Bewusstsein für die eigene Gesundheit und werden meist ärztlich betreut. Die Massenanwendung der EMS auch bei Untrainierten hingegen ist relativ neu. Allein die Kette Bodystreet wirbt mit 120.000 Trainings pro Monat. Wenn es "in Einzelfällen" zu Überlastungen durch das EMS-Training komme, so seien diese "wie bei allen anderen Trainingsmethoden in ihrer Kausalität sachgerecht zu prüfen und zu beleuchten", äußert sich die Bodystreet-Geschäftsführung in einer Stellungnahme. Grundsätzlich seien solche Fragen aber "sehr ernst zu nehmen."
Martin Felske ist Anwalt, seine Berliner Kanzlei hat bisher insgesamt sieben Mandanten beraten und drei vertreten, bei denen nach dem EMS-Training Gesundheitsbeschwerden auftraten. Aus rechtlicher Sicht sieht er einen wichtigen Unterschied zwischen EMS und anderen Formen des Trainings: Ein normaler Sportler bestimmt in der Regel selbst über die Belastung, die er sich zumutet. Bevor es zu Gesundheitsschäden kommt, muss man meist bewusst über die Schmerzgrenze hinausgehen. Im EMS-Studio hingegen stellt der Anleiter die Stromstärke ein. Zudem würden die Kunden der Fitnessstudios oft nicht auf die Gefahr des Übertrainings hingewiesen.
Doch weil die Methode noch relativ neu ist, sei auch die Rechtsprechung unklar. Grade erst habe ein Gericht die Klage gegen ein EMS-Studio abgewiesen - aber versäumt, vorher ein medizinisches Gutachten anzufordern. Felske wird in Berufung gehen, er rät allen Geschädigten, sich nach der medizinischen Hilfe auch anwaltlichen Rat zu holen.
Frank van Buuren ist Kardiologe und erforscht den Einsatz eines medizinischen EMS-Trainings bei Herzpatienten. Er hält die kontrollierte Anwendung für sinnvoll und auch für sicher: Seine Herzpatienten trainieren schonend mit niedrig eingestelltem Strom und ihre Gesundheit wird dabei ärztlich genau überwacht.
Noch Monate später erkundigt sich van Buuren nach ihrem Befinden. CK-Werte über 10.000 U/l hat er bei seinen Patienten noch nie gemessen, solche seien aus ärztlicher Sicht aber klar bedenklich. Die vollmundigen Versprechen der kommerziellen EMS-Studiobetreiber, in kurzer Zeit möglichst große Effekte zu erzielen, sieht er sehr skeptisch: "Wenn jemand bei einem solchen Training den Regler unkritisch nach oben dreht, kann es gefährlich werden."
Irene Habich studierte Tiermedizin und Journalistik. Sie arbeitet als freie Wissenschaftjournalistin in Berlin und Hamburg.
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